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Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (B.A.)

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Dagmara Kraus, Autorin, Übersetzerin und Juniorprofessorin

Stellen Sie Ihren Beruf kurz vor: Wie sieht Ihr Berufsalltag aus (typische Tätigkeiten, Arbeitszeiten etc.)?

 Es fällt mir nicht leicht, in meinem Fall von einem „Beruf“ zu sprechen und von einem Alltag, der mit diesem Beruf einherginge. Aber wenn es in Hinblick auf meine Tätigkeit als Autorin und Übersetzerin von Poesie so etwas gibt, wie einen mehr oder minder geregelten Berufsalltag, hielte ich es gern mit Lorine Niedecker, die schreibt, sie habe gelernt „to sit at desk / and condense“ (Poet's work). Denn solch ein „Verdichten“, „Sitzen-Verdichten“, „Am-Tisch-Sitzen-und-Verdichten“ ist wohl das, was auch ich tue, wenn ich täglich mit Texten umgehe: ob schreibend, übersetzend oder kommentierend. Und da dieserart „condensery“ – ich übersetzte Niedeckers neologistischen Gedichtschluss am liebsten leicht opitzelnd als „(Ver-)Dichterey“ – bekanntlich „no layoff“ erlaube, muss die so beschriebene Tätigkeit in ihrer Kontinuität und absoluten Unverbrüchlichkeit, in ihrer Konzentration und gewagten Ernsthaftigkeit so etwas sein wie ein Berufsalltag von Autor·innen, die sich der Dichtung (– so vielleicht die akkurate Übersetzung von „condensery“ –) verschrieben haben. 

Auch für mich und besagten „Beruf“, der in manchen Fällen (wie demjenigen Niedeckers) gewiss eher einer „Berufung“ gleicht, beanspruchte ich diese Darstellung der Tätigkeit gern. Jedoch kann ich sie mir bestenfalls täglich als Wunschbild vorhalten: condense, condense und nochmals condense – als Idealvorstellung von einem Beruf, wie ich ihn ausübte, wenn ich könnte. Schließlich treten andauernd, und dies nicht nur in Elke Erbs Gedicht Es setzt auf mich, Störenfriede auf den Plan; unwillkommene, notwendige Störenfriede; diverse Ablenkungen, die auf Ab- und, ungleich seltener, auf unverhoffte Umwege, dann endlich, aber erst irgendwann zum Text führen, manchmal aber, mit Edward Stachura, eher „na manowce“ und definitiv weg vom Arbeitstisch. Ehrlich gesagt, machen die Störmomente den Großteil meines „Berufsalltags“ aus. Dabei verdampft schonungslos das, was 'am Tisch condensend' flüssig zu werden keine Gelegenheit erhielt. – „No layoff“: oberste Devise meines Berufsalltags, Kampfansage de Brimborium.  

 

Warum haben Sie sich für dieses Studium entschieden?

 Zu Abiturzeiten hatte ich schlechte Noten im Fach Deutsch. Meine Lehrerin, eine verkrachte Theologin, neu an der westdeutschen Klosterschule, wie ich damals, die ich gerade von meinem Jahr im freidenkerischen England zurückkehrte, merkte schnell, dass ich außerstande war, beim Auslegen eines Textes die - so die wiederholte Aufgabe - „Intention des Autors“ zu erfassen. Und tatsächlich habe ich es bis heute nicht gelernt, vermeintliche Intentionen von Autor·innen auf den Punkt zu bringen, zumal ich mich ja seit Jahrzehnten für nichts als Texte und ihre vielfältigen Aussagen und Valenzen interessiere, jedoch naturgemäß keinen Einblick habe, und nie hatte, in die Köpfe von Autor·innen. Selbst etwaige Intentionen eigener Sachen verstehe ich nicht in einem Satz zu resümieren. Wären wir in der Schule doch bei den Editionsphilolog·innen gewesen, die am ehesten noch das Herausfriemeln von Absicht für sich in Anspruch nehmen können, wenn sie anhand von Manuskripten Sätze und Wörter aus nächster Nähe in ihrem Entstehungsprozess beobachten... Meine Skepsis hinsichtlich überkommener Lehrmethoden hatte zu Schulzeiten keinen Raum. Ich bekam schlechte Noten, aber liebte die Texte, die ich las. Und so hoffte ich nach der Erfahrung mit der orthodoxen Psalmendoktorin bei meiner Fachwahl darauf, anderen Skeptiker·innen unter den leidenschaftlich Lesenden zu begegnen. In England noch las man mit Emphase, sprach weitschweifig über Text, Machart, Implikationen. Zum Glück fanden sich in der Leipziger AVL und dann am Peter Szondi-Institut reichlich Leute, die nichts von operativer Intentionenextraktion hielten. In Paris, bei den Derrida- und Foucault-Adept·innen, wurde mein Deutsch-Trauma schließlich für immer geheilt: Die kolportierte Deutschlehrer-Frage nach der Autorenintention, die mich beinahe um den Studienzugang gebracht hätte, verhallte in einer gewaltigen Lachsalve. So hat mich nebst vielerlei Gründen wahrscheinlich auch Skepsis zu meinem Studienfach geführt, jedoch vor allem eine feste Überzeugung, deren Formulierung ich recht willkürlich an ein Anagramm Unica Zürns mir anzulehnen erlaube: Ich wusste, wie die macht man die Textliebe nicht.

 

Wann haben Sie sich für Ihren aktuellen Beruf entschieden und haben sich Ihre Erwartungen daran, ggf. aus Ihrer Zeit als Studierende erfüllt? 

 Es hat sicher nie eine wirkliche Entscheidung für einen Beruf gegeben, sehr wohl aber die Entscheidung zur Bewerbung etwa auf Stellen im Unimilieu, die auf die Promotion folgte. Es klingt ja viel mehr nach "Beruf", wenn ich auf die Frage nach meiner Beschäftigung sagen kann, dass ich Studierende unterrichte, wiewohl die Lage der Juniorprofessorin, als die ich gegenwärtig agiere, genauso prekär ist, wie diese ganze Berufsgeschichte der Autorin... Als junge Studentin hatte ich jedenfalls keine Ahnung, was mir blühen würde. Ich war erwartungslos offen und ganz sicher für alle Warnungen taub. 

 

Was ist das Wichtigste, das Sie während des Studiums für Ihren aktuellen Beruf gelernt haben? 

 Lesen.

 

Welche Zusatzqualifikationen sollte man schon während des Studiums erwerben, die für Ihren jetzigen Beruf nützlich oder essentiell sind?

 Anstatt mich nach akademischen Zusatzqualifikationen umzuschauen, bin ich im Studium viel gereist und habe mich an verschiedenen Orten länger aufgehalten. Dabei habe ich Sprachen gelernt – Sprachen: wahrscheinlich die für mich wichtigste „Zusatzqualifikation“. 

 

Gibt es etwas im Studium, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

 Ja, natürlich, es gibt jede Menge Erinnerungen und gäbe zahlreiche Anekdoten zu erzählen, aus den Seminaren, den Instituten, aus Gesprächen. Ich erinnere mich an die Hölderlin-Seminare bei Winfried Menninghaus, in denen ich aus Ehrfurcht vor der Koryphäe und ihrem eingeschworenen Publikum (zu dem ein paar heute namhafte Leute gehörten) niemals zu sprechen wagte, an das grandiose Konrad Bayer-Seminar von Reiner Niehoff vor einer ganz anders gearteten Fan-Gruppe und in dem ich erstmals von Wense sprechen hörte, an die Seminare bei Michael Lentz und das unaufhörliche Feuerwerk aus Witz und Schlagfertigkeit, an Astrit Schmidt-Burkhardts famosen Fluxus-Block, der mich auf die Ereignispartitur als Textform stieß und auf Maciunas und Friedman, an Giorgio Agambens venezianisches Möglichkeitsdenken, an Pierre Bayards zweistündige Reden über die Psychoanalyse in der Literatur und mein monatelanges Sitzen in der Bibliothèque Jacques Doucet über den Handschriften Ciorans, die im Fokus meiner Pariser Maîtrise standen sowie des Genfer „mémoire de pré-doctorat“. Ich erinnere mich an Florian Cramers inspirierende Einführung in die Komparatistik und an unser Lachen bei der Lektüre Kafkas, an die herrliche Villa mit Garten im Hüttenweg, die damals noch das Szondi-Institut beherbergte, an ein Gespräch mit Thomas Schestag, der noch in Frankfurt lehrte, über meinen Lieblingstext „La Mounine“ von Francis Ponge, an die ab 5 Uhr morgens durch die Gänge schlurfenden Leibniz-Leserinnen und Leser, die ihre Agrégation vorbereiteten und deren nicht wenige, wenn sie ihre akademischen Ambitionen denn nicht schon mit dem Leben bezahlt hatten (die Selbstmordrate bei ENS-Studierenden ist erstaunlich hoch), mit dreiundzwanzig schon weißhaarig waren.

 

 Welchen Rat würden Sie Studienanfänger*innen geben, die später ebenfalls Ihren Beruf ausüben möchten?

 „Faites donc“, sagt Jules Renard. Eine gewisse Ausgefuchstheit kann nicht schaden. Aber Obacht.