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Frankreichstudien (B.A.)

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Analyse lyrischer Texte (Literaturwissenschaft)

Sie selbst nannte sich ‚La belle cordelière‘ – die schöne Seilerin und genau mit diesem Selbstbewusstsein gab Louise Labé, die Frau eines wohlhabenden Lyoner Seilerwarenhändlers, 1555 einen Band heraus, der nicht nur ihre 24 Liebesgedichte und weitere Werke umfasst, sondern auch Lobreden auf die Autorin, die in altgriechischer, lateinischer, italienischer und französischer Sprache von ihrem dichterischen Ansehen innerhalb der geistigen Elite Lyons zeugen. In der Konzeption ihrer Dichtung orientierte sich Louise Labé an der Mode der Zeit, d.h. an der Liebesdichtung Francesco Petrarcas (1304-1374), die im 16. Jahrhundert nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich zum großen Vorbild erklärt wurde. Zahlreiche Dichter der Renaissance wie Pierre de Ronsard, Joachim Du Bellay und Maurice Scève schlossen an das italienische Modell an und begründeten damit das, was die Literaturwissenschaft als ‚Petrarkismus‘ bezeichnet. Eine Besonderheit ergibt sich bei Louise Labé: Steht in Petrarcas Liebeslyrik das Werben um eine unerreichbare Frau im Vordergrund, wird in Louise Labés Dichtung die weibliche Perspektive eingenommen, die teils klar als solche markiert wird, teils, wie im Fall des folgenden Gedichts, aber auch gar nicht zu erkennen ist.

 

Je vis, je meurs: je me brûle et me noie.
J’ai chaud extrême en endurant froidure:
La vie m’est et trop molle et trop dure.
J’ai grands ennuis entremêlés de joie:

Tout à un coup je ris et je larmoie,
Et en plaisir maint grief tourment j’endure;
Mon bien s’en va, et à jamais il dure;
Tout en un coup je sèche et je verdoie.

Ainsi Amour inconstamment me mène;
Et, quand je pense avoir plus de douleur,
Sans y penser je me trouve hors de peine.

Puis, quand je crois ma joie être certaine,
Et être au haut de mon désiré heur,
Il me remet en mon premier malheur.

 

Versuchen Sie nach der Lektüre des oben abgebildeten Gedichtes die folgenden Fragen zu beantworten.

Welche Regelmäßigkeiten sind in der Strophen- und Reimstruktur des Gedichts zu beobachten? (Zwei Antworten sind richtig.)

Das Gedicht setzt sich aus zwei Vierzeilern (quatrains) und zwei Dreizeilern (tercets) zusammen, wobei die Reime und die Reimstruktur der ersten beiden Strophen gleich bleiben. In den quatrains werden zunächst gegensätzliche Sinneswahrnehmungen (bspw. Kälte und Wärme) und entgegenstehende emotionale Zustände (Kummer und Freude) des Ich beschrieben. Erst mit den tercets wird dann der Grund für dieses Auf und Ab benannt, der Schuldige für die Gefühlsschwankungen ausgemacht: Amor, der Gott der Liebe. Die Liebe ist es also, weswegen in einem Augenblick das größte Glück in tiefste Traurigkeit umschlagen kann.

Außerdem bestehen die ersten zwei Strophen aus rimes embrassées (Reimschema: abba). Die Verwendung des umarmenden Reims kann nicht nur auf die Thematik der Liebe zurückgeführt werden. Im Gleichklang lassen sich auch die gegensätzlichen Erfahrungen und Emotionen verbinden, die das Ich durchlebt: das Gefühl, zu ertrinken, mit jenem der Freude; in einem Moment zu weinen, um im nächsten aufzublühen.

Um was für eine Gedichtform handelt es sich?

Bei dem vorliegenden Gedicht handelt es sich um ein Sonett. Das Sonett, leicht erkennbar an seiner festen Bauform aus zwei Vierzeilern (quatrains) und zwei Dreizeilern (tercets), ist eine Gedichtform, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aller Wahrscheinlichkeit nach in Palermo von der sogenannten sizilianischen Dichterschule eingeführt wurde. Auch Petrarca greift in seinem Canzoniere häufig auf die Sonettform zurück, in der Renaissance findet sie eine starke Verbreitung.

Die mittelalterliche Gedichtform des Rondeau erlebt im Laufe der Zeit unterschiedliche Beschränkungen. Konstant bleibt, dass es auf zwei Reimen läuft und der erste Vers (oder Halbvers) refrainartig in der Mitte und/oder am Ende des Gedichts wiederholt wird.

Vollständig auf den Reim zu verzichten wie in einem Prosagedicht, dieser Gedanke stieß erst im 19. und 20. Jahrhundert auf wachsendes Interesse und auch Akzeptanz. Das poème en prose stellt neben dem vers libre eine Möglichkeit dar, auf gängige Reimschemata zu verzichten. Obwohl sich das Prosagedicht gerade dadurch auszeichnet, nicht streng definiert zu sein, weist es doch eine gewisse formale Einheit und eine ähnliche poetische Dichte auf wie Gedichte fester Form. Bezeichnend ist außerdem die Hinwendung zum Prosaischen, d.h. dem Alltäglichen in der Dichtung der Moderne. Für die Dichter und Dichterinnen der Renaissance dagegen muss ein Gedicht ohne Reim wie ein Sommer ohne Sonne gewesen sein.

Welches Stilmittel verbinden Sie mit dem ersten Vers: Je vis, je meurs: je me brûle et me noie. ? (Zwei Antworten sind richtig.)

Der antithetisch formulierte Vers (vivre – mourir; brûler – noyer) drückt die oben angesprochene innere Zerrissenheit des lyrischen Ich auch auf stilistischer Ebene aus und wird durch das mittige Kolon (auch visuell) unterstrichen. Ebenso unterstreicht der Parallelismus auf der Ebene des Satzbaus (Syntax) die inhaltliche Gegensätzlichkeit (Semantik).

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