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Thomas von Aquin über das Gewissen
Thomas von Aquin (1225–1274) zählt zu den bedeutendsten und bis heute einflussreichsten Philosophen und Theologen des Mittelalters. In seinem Hauptwerk, der Summa Theologica, stellt er das ganze System der christlichen Theologie unter Verwendung der philosophischen Überlegungen und Begriffe des Aristoteles ausführlich und systematisch dar.
Im folgenden finden Sie zwei Ausschnitte aus diesem Werk, in denen sich Thomas von Aquin mit dem Gewissen auseinandersetzt, das er in zwei Aspekte untergliedert und auch unterschiedlich bezeichnet – zum einen mit dem bekannten lateinischen Wort conscientia, zum anderen mit dem zwar griechisch anmutenden, aber im Griechischen völlig unbekannten Wort synderesis. Wie Thomas die beiden Begriffe definiert, erfahren Sie aus den Texten. Ihr Verständnis können Sie anschließend an den untenstehenden Fragen überprüfen – und danach im Feedback zu ihren Antworten auch erfahren, was es mit dem Wort synderesis auf sich hat.
Respondeo dicendum quod synderesis non est potentia, sed habitus […]. Ad huius autem evidentiam, considerandum est quod, sicut supra dictum est, ratiocinatio hominis, cum sit quidam motus, ab intellectu progreditur aliquorum, scilicet naturaliter notorum absque investigatione rationis, sicut a quodam principio immobili, et ad intellectum etiam terminatur, inquantum iudicamus per principia per se naturaliter nota, de his quae ratiocinando invenimus. Constat autem quod, sicut ratio speculativa ratiocinatur de speculativis, ita ratio practica ratiocinatur de operabilibus. Oportet igitur naturaliter nobis esse indita, sicut principia speculabilium, ita et principia operabilium. Prima autem principia speculabilium nobis naturaliter indita, non pertinent ad aliquam specialem potentiam; sed ad quendam specialem habitum, qui dicitur intellectus principiorum […]. Unde et principia operabilium nobis naturaliter indita, non pertinent ad specialem potentiam; sed ad specialem habitum naturalem, quem dicimus synderesim. […]
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Ich antworte, synderesis ist keine Potenz, sondern ein Habitus. Um sich darüber klar zu werden, muss man beachten, dass, wie oben schon gesagt, das vernunftgemäße Schlussfolgern eine Art Bewegung ist und vom Verständnis bestimmter Dinge ausgeht, die dem Menschen von Natur aus ohne weitere Nachforschung der Vernunft bekannt sind, wie von einem unverrückbaren Prinzip, und auch wieder darin endet, insofern wir durch die uns von Natur aus bekannten Prinzipien über das urteilen, worauf wir beim Schlussfolgern stoßen. Es ist nun aber offenkundig, dass, so wie die spekulative Vernunft über spekulative Dinge, die praktische Vernunft im Bereich des Handelns Schlussfolgerungen anstellt. Es müssen uns also ebenso wie spekulative Prinzipien auch Prinzipien des Handelns eingegeben sein. Die ersten spekulativen Prinzipien, die uns von Natur aus eingegeben sind, gehören aber nicht zu einer speziellen Potenz, sondern zu einem speziellen natürlichen Habitus, den man „Verständnis der Prinzipien“ nennt […]. Daher gehören auch die uns von Natur aus eingegebenen Prinzipien des Handelns nicht zu einer speziellen Potenz, sondern zu einem speziellen natürlichen Habitus, den wir synderesis nennen. […] |
Respondeo dicendum quod conscientia, proprie loquendo, non est potentia, sed actus. […] Idem autem apparet ex his quae conscientiae attribuuntur. Dicitur enim conscientia testificari, ligare vel instigare, et etiam accusare vel remordere sive reprehendere. Et haec omnia consequuntur applicationem alicuius nostrae cognitionis vel scientiae ad ea quae agimus. Quae quidem applicatio fit tripliciter. Uno modo, secundum quod recognoscimus aliquid nos fecisse vel non fecisse […], et secundum hoc, conscientia dicitur testificari. Alio modo applicatur secundum quod per nostram conscientiam iudicamus aliquid esse faciendum vel non faciendum, et secundum hoc, dicitur conscientia instigare vel ligare. Tertio modo applicatur secundum quod per conscientiam iudicamus quod aliquid quod est factum, sit bene factum vel non bene factum, et secundum hoc, conscientia dicitur excusare vel accusare, seu remordere. Patet autem quod omnia haec consequuntur actualem applicationem scientiae ad ea quae agimus. Unde proprie loquendo, conscientia nominat actum. Quia tamen habitus est principium actus, quandoque nomen conscientiae attribuitur primo habitui naturali […]. Consuetum enim est quod causae et effectus per invicem nominentur.
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Ich antworte, conscientia ist im eigentlichen Sinn keine Potenz, sondern ein Akt. Das geht aus dem hervor, was man conscientia zuschreibt: Von ihr heiß es, sie bezeuge, binde, treibe an, klage aber auch an, beiße und schelte. Das alles ergibt sich aus der Anwendung von irgendeiner Erkenntnis oder einem Wissen auf das, was wir tun. Diese Anwendung kann auf drei Arten erfolgen: Erstens gemäß dem, dass wir erkennen, etwas getan oder nicht getan zu haben […], und in diesem Sinne heißt es, conscientia bezeuge; zweitens gemäß dem, dass wir durch unsere conscientia darüber urteilen, ob man etwas tun oder nicht tun soll, und in diesem Sinne heißt es, sie binde und treibe an; drittens gemäß dem, dass wir durch conscientia darüber urteilen, ob etwas, das wir getan haben, gut oder schlecht war, und in diesem Sinne heißt es, conscientia entschuldige uns oder klage uns an und beiße. Es ist klar, dass sich aus all diesen Dingen eine Anwendung von Wissen auf das, was wir tun, ergibt. Daher bezeichnet conscientia im eigentlichen Sinne einen Akt. Weil aber der Habitus ein Grundprinzip für den Akt darstellt, wird die Bezeichnung conscientia zuweilen für diesen ersten natürlichen Habitus […] verwendet […], denn es kommt öfter vor, dass Ursache und Wirkung nacheinander benannt werden.
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Lesen Sie die beiden Textpassagen aus der Summa theologica genau und schätzen Sie ein, welche der unten stehenden Aussagen nach Thomas von Aquin richtig oder falsch sind! Nach einem Klick auf den Button „Ergebnis“ können Sie überprüfen, ob Ihre Antworten korrekt waren, und ein Feedback zu den einzelnen Fragen einsehen.
In der aristotelischen Dichotomie von Akt und Potenz gibt es nichts Mittleres.
Thomas von Aquin benutzt den Begriff des Habitus als etwas, das zwischen Akt und Potenz steht: Jeder Mensch ist zum Beispiel potentiell in der Lage, ein bestimmtes Wissen zu haben, also etwa die lateinische Sprache zu beherrschen, wenn er sich damit auseinandersetzt. Jeder, der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der lateinischen Sprache befasst oder einen Text auf Latein liest, aktualisiert diese Potenz. Wer sich hingegen in einer bestimmten Situation mit etwas anderem auseinandersetzt, die lateinische Sprache aber gelernt hat, ist Latinist qua Habitus. Weitere Beispiele für solche Habitus wären z.B. das Gedächtnis mit dem dort abgespeicherten Wissen im Allgemeinen oder alle Tugenden und Laster.
Der Satz, dass zwei einander widersprechende Aussagen nicht beide zugleich wahr sein können, verhält sich zur spekulativen Vernunft wie der Satz, dass man Gutes tun und Böses vermeiden solle, zur praktischen Vernunft.
Bei den beiden Sätzen handelt es sich um klassische Beispiele für logische bzw. moralische Axiome, welche die Grundlage für alle weiteren logischen oder ethischen Urteile bilden, ohne selbst anderweitig abgeleitet werden zu können, und auf die sich Thomas von Aquin bezieht, wenn er von natürlich eingegebenen Prinzipien spricht.
Die moralischen Grundprinzipien der synderesis unterliegen gesellschaftlichen Konventionen und können sich mit ihnen ändern.
Ebenso wie bestimmte logische Axiome sind die Grundsätze der synderesis ein integraler Bestandteil der menschlichen Natur, auf denen alle weiteren Urteile aufbauen. Sie sind nicht veränderlich, da jede Beliebigkeit in der Wahl der ersten Prinzipien moralisches Handeln überhaupt unmöglich machen würde.
Conscientia bedeutet die Übertragung moralischer Grundprinzipien auf den konkreten Einzelfall.
Conscientia bezeichnet das konkrete Gewissensurteil auf der Basis der ersten moralischen Prinzipien, also der synderesis.
Conscientia greift für ihr Wirken einzig auf synderesis zurück.
Conscientia bezieht sich zwar auf die habituell vorhandenen Grundprinzipien des Handelns in der synderesis als Urteilsmaßstab, muss aber, um eine Handlung einschätzen zu können, auch anderes Wissen, das Gedächtnis etc. bemühen, um überhaupt Zugriff auf den Kontext der Handlung zu erhalten, so wie die spekulative Vernunft sich nicht allein auf ihre apriorischen Prinzipien stützt, sondern sie auf Informationen anwendet, die sie z. B. aus der Sinneswahrnehmung erhält.
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden synderesis und conscientia nicht immer genau unterschieden.
Das Wort synderesis – das in der mittelalterlichen Literatur eigentlich immer als philosophischer Fachterminus gebraucht wird und dem allgemeinen Sprachgebrauch eher nicht zuzurechnen ist – geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen in zahlreichen Manuskripten kolportierten Abschreibefehler an einer Stelle des Ezechielkommentars des Hieronymus zurück, an der er das griechische Gegenstück zum lateinischen Wort conscientia nennt, das diesem auch etymologisch haargenau entspricht, nämlich syneidesis (von σύν: mit und εἰδέναι: wissen). Beide Wörter bedeuteten also ursprünglich dasselbe; Thomas von Aquin greift sie nun auf, um die beiden Formen des Gewissens, die er unterscheidet, auch unterschiedlich benennen zu können.
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